II
6.Nov.1962
"Darum saß er (Cézanne) oft eine halbe Stunde lang vor dem Motiv, die Augen suchend auf die Landschaft oder den besonderen Gegenstand gerichtet, ohne einen einzigen farbigen Flecken, ohne nur einen Pinselstrich auf die Leinwand zu setzen. Viele seiner Bilder sind hunderte von Malen überarbeitet." Rilke ?
Alto pinarCuatro palomas por el aire vanCuatro palomas vuelan y tornan.Llevan heridas sus cuatro sombras.Bajo pinar!Cuatro palomas en la tierra están.Garcia Lorca, "Cazador"
10.Nov.62
IV
Die Welt der Toten steht nun auf
Blau und Grün verhält nicht mehr
ihr leises Kommen.
Leicht steigt sie mit den Säften
in den kahlen Bäumen aufwärts
und wie Samen streut der Wind
sie weithin über graue Dächer
über das fahle Land.
11. Nov.62 nachmittags
"... Aushalten und Geduld haben, keine Hilfe erwarten als die ganz große, nahezu wunderbare: das hat mich von Kindheit auf weitergebracht...“ Rilke, Paris,5.8.1909
V
Wenn du heute wieder
mit gelbem Teppich belegt
die weichen Wege gehst
steigen aus verfallenden Gräbern
Tote dir ins wächserne Herz.
Sie stehen stumm auf ihren Gräbern
(selbst der kahle Wind umgeht sie scheu)
zeigen ihre heimlichen Gebärden
und sehn dich lange dabei an.
Samstag. 17..Nov.62 abends
"Ihm (Cézanne) fehlt alles, nicht einmal eine jener weiblichen Zuneigungen ist ihm gewährt, deren tröstende Zärtlichkeit ein feindliches Geschick überwinden hilft, Fehlschläge mildert und Erfolgen höheren Glanz gibt." Peruchot, Cézanne
So.18.XI.62
Vers le soir - un soir lourdcomme la mort en novembre -je voyais sur les choses sombres,qui ont déjà perdu leurs contourstomber la nuit...
Freitagabend, 23.XI.62
"... lass immer noch alle Deine Rückwege groß offen hinter Dir -, ich halt Dich nicht, meine Hände haben sich längst, längst versprochen, niemals zu halten (und dazu hat sie Gott auch gar nicht gemacht.) Rilke, An Benvenuta 139
Samstag/Sonntag 24.u 25.XI
Es kommt immer darauf an zu sagen, was ist, und nicht das, was ich mir denke, dass es sein könnte. Das, was ist, erscheint mir immer zu wenig und ich möchte wissen, was "dahinter" ist, was aber Unsinn ist, denn "dahinter" ist nichts (ebenso wie hinter einem Spiegel). Es gibt nur den Vordergrund, er enthält alles, die Oberfläche.
abends. 17.12.62
...
Und dies alles immer unbegehrendhinzulassen, schien ihm mehr als seinesLebens Lust, Besitz und Ruhm.Doch auf fremden Plätzen war ihm einestäglich ausgetretnen BrunnensteinesMulde manchmal wie ein Eigentum.
Rilke
11.Jan.63
E di persona.
anzi grande, che no; di vista allegra,
Di bionda chioma, e colorita alquanto
Marie Grubbe
Es ist Winter. Eine glasige Eisschicht hat sich zwischen uns und die Erde mit ihren Dingen geschoben, so dass alles unnatürlich wirkt. Die Kieselsteine des Parkweges sehen wie aus einem Bach unter dem Eis hervor, nur sind ihre Umrisse ein wenig verschwommen.
Die Kinder haben ihre Freude an diesem Zustand und sie gleiten sicher balancierend dahin. Für die Erwachsenen ist es schwieriger; an ihren vorsichtigen kleinen Schritten merkt man ihre Unsicherheit, und die Stadtverwaltung ließ deswegen schmale Striche neuer Erde über das Eis streuen, um dem Fuß wieder Sicherheit zu geben.
13.Jan.63
Bäume im Winter
Wann endlich wird uns Frühling,dass wir Grünes wieder aus uns treiben?Schon allzu lange stehn wir entlaubtund saugen bittere Säfte untentief aus der kargen Wintererde.Säfte steigen in uns auf,sammeln sich und drängen.Aber außen hält mit festem Griffdas Eis die Zweige uns umschlossenso dass die Säfte innen sich erhärten,Holz werden, schweres salziges Holz,innen - unfruchtbar.
14.Jan.63
Im Fluss
Tief unten fließt der Stromder immer weiter mich dir entgegen trägt.
Ich steige hinauf am Tage,gehe oben über die sichere Erdeunter den fremden Dingen und Menschen,sehe alles von weitem im Traum.
Im Grunde: ich warte -Am Tage regen die langsamen Hände sich,bauen an einer kleinlichen Weltdoch nur im Spiel vor mir.
Unten wartets.
Abends steige ich weiter hinausin die unwandelbaren Bezügeund schaue.
Doch manchmal bin ich nur untenund höre das Rauschen der Stunden.
Nachts übertönen die Sänge des Bluts.Doch unten?
All' meine Zeit
ist Wartezeit.
"Unschädlich, wie vom Lichte die Blume lebt,
so leben gern vom schönen Bilde
träumend und selig und arm die Dichter."
Hölderlin
16.Jan.63
Spät im Jahre, tief im Schweigen
dem, der ganz sich selbst gehört,
werden Blicke niedersteigen,
neue Blicke unzerstört.
Gottfried Benn
20.Jan.63
Laß mich nicht mehr bei der Harfe schlafen;
sieh dir diese Knabenhand da an:
Glaubst du, König, daß sie die Oktaven
eines Leibes noch nicht greifen kann?
Rilke
On the Beach of FontanaWind whines and whines the shingle,the crazy pier stakes groan;a senile sea numbers each singleslime silvered stone.
From whining wind and coldergrey sea I wrap him warmand touch his trembling fine boned shoulderand boyish arm.Around as fear, descendingdarkness of fear aboveand in my heart how deep unendingache of love.
?
sa. 9.Febr.63
Empedokles:
Was wäre denn der Himmel und das Meer
Und Inseln und Gestirn, und was vor Augen
Den Menschen alles liegt, was wär es noch,
Dies tote Saitenspiel, gäb ich ihm Ton
Und Sprach' und Seele nicht? Was sind
Die Götter und ihr Geist, wenn ich sie nicht
Mignon
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich am Firmament
Nach jener Seite,
Ach, der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre
mo. 11.Febr.63
Grüne Insel Ithaka
Wann landen wir endlich in Ithaka!
Grau umlagert uns rund. Graudas Meer. Peitschende BöenGrauschwarz die Wolken.
Brüllen der Krieger und Götter.Braune Erdtiefen bersten.Wir treiben dahin.
Rotumschlingende Blumen,süßes Rauschen im Blut -übertönt.
Sandiger Strand der Oase, gelbeschimmernde Exotikhält uns
Blauer gleißender Himmelungreifbar, nichtslacht darüber.
Weit, weit, weit ist Ithaka.
Steine
Immer wachsen hier und da
im reißenden Urwaldstrom
steile Inselfelsen auf vom Grund
Korallenriffe, weiß
Grüner Flor verdeckt sie dünn.
Aufgebrachte Fluten
greifen sie mit scharfen Händen,
Wellen wirbeln ringsumher.
Manche treiben los vom Grund,
versinken, schwer,
zu schwer dem reißenden Strom.
Nur Basalte halten aus
Wellen brechen sich in ihnen,
weiße Gischt schäumt auf,
zerspritzt, unsichtbar -
im Zerbrechen rauschen sie:
Am Felsen singt die Flut.
Jetzt verbleichen im urwirklichen Licht
der starken Sonne die leuchtenden Bilder,
die immer dicht im Kreise dich enthielten
und du stehst allein am Ufer
zwischen den sprießenden Bäumen;
um dich schwillt der mächtige Föhn
aus Sonne und warmen Schauern gemischt,
du aber scheinst so alt und winterlich.
Standpunkt
Sieh, wie die weißen Möwen dort unten
leicht auf den Wellen treiben
und plötzlich weit die Flügel schwingen,
sich sicher heben und fliegen.
Du fühlst wie der Sturm
dich gewaltig ergreift:
urtiefe Lust bricht in dir aus
ungebändigte Fluten
im Rausch, den du nicht begreifst.
Hilflos schwingst du die Arme,
taumelst im Kreis und fällst
über die holprigen Steine am Boden;
denn du hast keine Flügel.
Du kannst im Sturm nur bestehen,
wenn du schwer auf der Erde bleibst.
Packt dich dann auch
um vieles stärker noch
seine Macht - du darfst dich nicht
in seinen lockenden Rhythmus geben:
fühlen und schauen, singen.
Lynkeus der Türmer
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich seh in der Näh
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mirs gefallen,
Gefall ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!
Goethe, Faust I
mi. 13.3.63
SAPPHOWo ist nun die Dichterinder streng begrenzten Oden,die unbewegte reine Mitteihres roten Kreises?Schwärmend wie wilde Mänadentreibt sie der Sturm ihres Blutsunheimlich, plötzlich ausgebrochen,die einsam gewundenen Pfade hinanund weiter hinaus ins weglose Gestein,wo nur der unermessliche Himmelnoch über ihr ist, der alleinihre rasende Glut noch begreift.glühendes Blau -
Und blau liegt tief unten das Meer, blauKühl umgreifen die ruhigen Wasserdie fiebernde Stirne, nüchtern,spülen die wogende Brustund zwingendie heißen Schläge des Herzensin ihren eigenen großen Rhythmus
Aber versuchtest du dies: Hand in der Hand mir zu sein
wie im Weinglas der Wein Wein ist.
Versuchtest du dies Rilke, Muzot 1925
19.3.
Da mit dem ersten Händereichen schon
hast du dich rein mir in die Hand gegeben:
so hört man den ersten Orgelton
das ganze Lied sich unaufhaltsam heben.
Das ganze Lied mit Opfer, Wandlung, Sieg.
(Wie ward ich des vergangnen Wartens inne!)
Und wie es mit dem starken Anbeginne
mein Horchen und Gehorchen überstieg.
Rilke
Lou lui accorda, de pouvoir s'épancher sans honte ni retenue devant elle, qui comprenait tout....
So laßt mich scheinen bis ich werde,
Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!
Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre. Mignon
di. 2.4.63
"Si je refuse obstinément tous les 'plus tard' du monde, c'est qu'il s'agit aussi bien de ne pas renoncer à ma richesse présente."
A.Camus, Le vent à Djémila
mi 3.4.63
versteh
Zu lauschen auf der winterwinde weh
Die mit den welken einsamkeiten weinen.
So hältst du immer wach die müde stirn
Und gleitest nicht herab von steiler bösche
Ob auch das matt erhellte ziel verlösche
Und über dir das einzige gestirn.
Stefan George
… und ich glaube, Lou, so muß es sein, dieses ist ein Leben und das andere ein anderes, und wir sind nicht gemacht, zwei Leben zu haben. Rilke
mi. 3.3.63
Keiner trug an deinen Losen,
keiner frug, ob es gelang -
Saum von Wunde, Saum von Rosen -
weite Blicke, sommerspät.
Dich verstreut und dich gebunden,
dich verhüllt und dich entblößt -
Saum von Rosen, Saum von Wunden -
letzte Blicke, selbsterlöst.
Gottfried Benn
mo.23.3.63
Mein Weg
Bittere Kakteen starren da,
wo einmal Rosen waren
lidlos blickt die Sonne
Sieh: in der Mitte geht noch
schmal und richt dein Weg
von dem du abfielst - müde.
Ruhe ist dir nicht gegeben
Ebene ist nur ein Tal.
Über jener Hügelgrenze
warten andere Räume
deiner reichen Erde.
Deines ist: Weitergehen
alles schauen und leiden
und an alles rühren
ob es klinge -
und immer wieder:
lassen und weiter gehen.
Dir wurde erst spät bewusst,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du mußt.
Gottfried Benn.
23.III.
Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
die er müde nicht mehr fragen hieß,
ging er wieder fort; verlor, verließ -
Denn er hing an solchen Reisenächten
anders als an jeder Liebesnacht.
Rilke
O Lou, in einem Gedicht, das mir gelingt, ist viel mehr Wirklichkeit als in jeder Beziehung oder Zuneigung, die ich fühle; wo ich schaffe, bin ich wahr und ich möchte die Kraft finden, mein Leben ganz auf diese Wahrheit zu gründen, auf diese unendliche Einfachheit und Freude, die mir manchmal gegeben ist...Ich fange an, Neues zu sehen: schon sind mir Blumen oft so unendlich viel und aus Thieren kamen mir Anregungen seltsamer Art. Und auch Menschen erfahre ich schon manchmal so, Hände leben irgendwo, Munde reden, und ich schaue alles ruhiger und mit größerer Gerechtigkeit. Rilke
Il aimait les livres; les livres sont des amis froids et sûrs.
Victor Hugo, Les Misérables
Victor Hugo, Les Misérables
Sind denn dir nicht verwandt alle Lebendigen
Nährt die Parze denn nicht selber im Dienste dich?
Drum, so wandle nur wehrlos
Fort durchs Leben, und fürchte nichts.
Hölderlin
So,28.4.63
Ich darf mich nicht mehr so weit aus mir entfernen, um von außen Hilfe und Schutz zu erwarten. Und ich darf nicht denken, dass es sich schön und leicht leben ließe, wenn.... Das innere und, was oft noch schwerer ist, das äußere Alleinsein muss Beruf werden und wenn von außen ein wenig Glück (d.i. Liebe) hinzu getragen wird, muss ich es als zufälliges Geschenk ansehen, nicht als Anspruch. Die Erde muss als Beständige, Allumfassende, als Tragende empfunden werden. Im übrigen: Il faut toujours travailler et il faut avoir patience.
König, birgst du dich in Finsternissen,
und ich hab dich doch in der Gewalt.
Sieh mein festes Lied ist nicht gerissen,
und der Raum wird um uns beide kalt.
Mein verwaistes Herz und dein verworrnes
hängen in den Wolken deines Zornes,
wütend ineinander eingebissen
und zu einem einzigen verkrallt.
Fühlst du jetzt, wie wir uns umgestalten?
König, König, das Gesicht wird Geist.
Wenn wir uns nur aneinander halten,
du am Jungen, König, ich am Alten,
sind wir fast wie ein Gestirn das kreist.
Rilke, Stundenbuch
2.V.63
Weißer Mond
Abends wenn ich von Dir gehe,
gehst du mit, mein weißer Mond,
spielst mir leise zwischen Gräbern
wartest hinter jeder kahlen Mauer
und durchdringst das laute Licht
der Straße, die in meinen Leib
zerrinnt.
Du, mein weißer Mond,
schattest über mir in deiner Kühle
und mit deinen weichen Dunkelheiten
lagerst Du um mich in Bäumen,
die sich vor dem Himmel türmen.
Spannst dich oben unter Sternen
nennst mir Deine tiefsten Falten,
Du, mein weißer weicher Mond, Du.
7.Mai 63
ErdeManchmal wirft die warme Erdeihren grauen Schleier über unsund wir sind dann heimlicher in ihrohne Himmel weit und ohne Sonne.Schritte tauchen in sie einschreiben unsre Spuren aufund in ihre Fäden sind wir eingesponnenwenn wir nackt im Regen stehn.Doch wann wird ihre große Kraftauch in die Haut uns dringenund ihr Strömen durch uns fallenwie die Tropfen durch die Bäumeund von unten steigen- wachsen.
J.Keats "To Fanny"
I cry your mercy-pity-love! - aye, love!
Merciful love that tantalizes not,
One-thoughted, never wandering, guileless love,
Unmask'd, and being seen - without a blot!
O! let me have thee whole, - all-all be mine!
That shape, that fairness, that sweet minor sest
Of love, your kiss,- those hands, those eyes divine,
That warm, white lucent, million-pleasured breast-
Yourself -your soul - in pity give me all, ...
1.VI.63
Mais, quand d'un passé ancien rien ne subsiste , après la mort des êtres, après la déstruction des choses, seules, plus fréles mais plus vivaces, plus immatérielles, plus persistantes, plus fidèles, l'odeur et la saveur restent encore longtemps, comme des âmes, à se rappeler, à attendre, à espérer, sur la ruine de tout le reste, à porter sans fléchir, sur leur gouttelette presque impalpable, l'édifice immense du souvenir.
M.Proust, "Swann" (70)